Wenn wir eine Sache wirklich nicht verbocken dürfen, dann die. Der Gedanke kommt urplötzlich am Tag zwei der neuen Zeitrechnung. Eben nach Hause gekommen, gerade zum ersten Mal die Babyschale mit dem schlafenden Winzling in den Flur gestellt. Freudestrahlend: Jetzt geht’s richtig los, unser Familienleben! Und dann, von einem Moment auf den anderen, ist die ganze Leichtigkeit weg. Weil man plötzlich kapiert: Oh Mann. Jetzt geht’s wirklich richtig los. Und wir allein sind dafür verantwortlich, dass alles gut geht.

Kalt erwischt
Auch wenn man theoretisch neun Monate Vorbereitungszeit hatte: Von diesem Moment werden alle frischgebackenen Eltern kalt erwischt. Weil man sich das vorher einfach nicht vorstellen konnte, wie das ist. So zu lieben. So gebraucht zu werden. Und so keinen Schimmer zu haben, wie um alles in der Welt man dieser irren Verantwortung gerecht werden soll.

Was Babys wirklich brauchen
Doch: Kein Grund in Schockstarre zu fallen. Denn zum Glück zeigt die Forschung heute überraschend klar, was Babys von ihren Eltern wirklich brauchen. Und: Ihnen eine gute Mutter, ein guter Vater zu sein ist gar nicht so schwer, wie wir oft meinen.

Grundbedürfnisse
Was wir Erwachsenen brauchen, damit es uns gut geht, hat viel mit der Kultur zu tun, in der wir aufgewachsen sind. Beispiel Privatsphäre: In Deutschland könnte kaum einer ohne, im Iran kann keiner etwas mit dem Begriff anfangen.
Bei Neugeborenen ist das anders: Sie haben überall auf der Welt erstmal die gleichen Bedürfnisse. Und die sind total bescheiden: Nahrung – und Nähe. Heute wissen wir: Diese Grundbedürfnisse immer und vor allem schnell zu erfüllen, legt den Grundstein für eine verlässliche, liebevolle Eltern-Kind-Bindung. Keine Frage: Das ist anstrengend. Weil man rund um die Uhr in Alarmbereitschaft ist. Aber: So sehr Babys diesen 24-Stunden-Service für Milch und Kuscheleinheiten brauchen, so wenig brauchen sie alles andere. Weder absolute Ruhe. Noch spezielles Bespaßungsprogramm. Und erst recht keine feste Tagesroutine, die einen selbst nur unter Druck setzt und unflexibel macht. Deshalb ist der beste Tipp für Neu-Mamas und –Papas: Konzentriert euch aufs Wesentliche: Stillen oder Fläschchen geben, ab und zu eine frische Windel, viel Schmusen, nicht zu viel Trubel – und das war’s. Be basic. Dann kommt der Rest von allein.

Glückliche Eltern – glückliche Babys
Das Märchen von der guten Mutter ging lange Zeit so: Sie ist aufopferungsvoll. Sie denkt nur noch ans Wohl des Kindes. Ihre eigenen Bedürfnisse stellt sie völlig zurück. Dafür wird aus dem Kind „was Ordentliches“ und es lebt zufrieden bis ans Ende seiner Tage.Mittlerweile hat sich herumgesprochen: Das ist Quatsch! Wer will seinem Kind schon die Last aufhalsen, schuld daran zu sein, dass die eigene Mutter kein Leben mehr hat? Das Dumme an solchen Mythen: Sie werden meist nicht einfach abgeschafft, sondern durch einen radikalen Gegenentwurf ersetzt. In diesem neuen, modernen Märchen ist Aufopferung out. Kaum dem Wochenbett entsprungen ist es höchste Zeit, Freiheiten zurückzuerobern. Wer da erst mal lieber abends zuhause bleibt, obwohl es doch heute ausgeklügelte Milchpumpsystemen und Babysitterbörsen im Internet gibt, gilt schnell als überbehütende Glucke.

Dabei ist längst bewiesen: Gute Eltern sind vor allem glückliche Eltern. Denn Babys haben sehr feine Antennen: Sie spüren genau, ob Mama abends freudig oder mit Magenschmerzen weggeht, weil sie Angst hat, dass ihre Freundinnen sie sonst für spießig halten. Deshalb: Sich nicht den Stress geben, anderen beweisen zu wollen, was für eine lässige Mutter, was für ein cooler Vater man ist. Sondern gucken: Was braucht mein Baby? Was brauche ich? Und wie kriegen wir das einigermaßen unter einen Hut? Ob dann eine Spätvorstellung im Freilichtkino mit schlafendem Baby im Kinderwagen herauskommt, ein gemütlicher Spieleabend zuhause oder eine durchgetanzte Nacht, die das Kleine bei Oma und Opa verbringt – richtig ist, was sich richtig anfühlt. Weshalb man beide Märchen gleichermaßen in die Tonne treten kann.

Was wirklich bleibt
Kein Mensch kann sich an sein eigenes erstes Lebensjahr erinnern. Zugegeben, das klingt erstmal deprimierend. Das erste Buddeln im Sandkasten, der Holland-Urlaub zu dritt, das fröhliche Geschenkpapierzerreißen an Weihnachten – all das soll keine Spuren hinterlassen? Nun: Zumindest keine bewussten Erinnerungen. Im Gehirn haben die Erlebnisse allerdings schon Folgen. Denn: Immer, wenn ein Baby sich geborgen, geliebt und glücklich fühlt, entwickeln und stabilisieren sich spezielle Nervenverbindungen im Gehirn. Diese Vernetzungen sind wie ein Glücksspeicher, der ein Leben lang hält – und dafür sorgt, dass Menschen auch wenn sie längst kein Kind mehr sind besonders oft und leicht und intensiv Freude empfinden können. Heißt konkret: Wenn auch nicht als konkrete Erinnerung, wird doch alles Gute was ein Baby erlebt in seinem Gehirn gespeichert. Umgekehrt wird es keinerlei Erinnerung daran haben, ob seine Bodys gebügelt aus dem Schrank oder direkt von der Leine kamen. Der Haushalt war monatelang ein einziges Chaos? Mama guckte beimStillen entgegen verschiedenster Lehrbuchratschläge immer die „Gilmore Girls“? Alles weg! Herrlich, oder? Die Erinnerung wird dann ungefähr da einsetzen, wo Sie – ausgeschlafen und natürlich mittlerweile völlig routiniert in der Elternrolle – gemeinsam einen Geburtstagskuchen mit drei Kerzen drauf auspusten.

Dieser Artikel erschien zuerst im Jahr 2008 in der Zeitschrift ELTERN.
Die wunderbaren Fotos in diesem Beitrag stammen von Herzog Fotografie – vielen Dank!