Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal schwanger war, hatte ich das Gefühl, in ganz vielen Babyfragen die Wahl zwischen genau zwei Möglichkeiten zu haben: Brust oder Flasche. Tragetuch oder Kinderwagen. Wiege oder Familienbett. Und eben: Stoffwindeln oder Pampers. Als angehende „Attachment Parenting“-Mom war meine Entscheidung in den meisten dieser Fragen ziemlich schnell gefallen: Klar wollte ich stillen, tragen und unser Baby bei uns schlafen lassen – das waren schließlich die Bindungs-Bausteine, auf die wir setzten! Bei der Windel-Frage war die Sache hingegen komplizierter. Denn so genau ich das „Attachment Parenting Book“ der Sears auch studierte – über die Wahl der richtigen Windeln war in dem Standardwerk nichts zu finden. Windeln, schloss ich daraus mit einer gewissen Erleichterung, sind keine Frage von „Attachment Parenting“ oder nicht – sondern einfach eine der persönlichen Vorlieben.

In Sachen Baby schien es oft nur zwei Extrempositionen zu geben:
Stillen oder Flasche.
Tragen oder Schieben.
Stoffwindeln oder Pampers.
Und nichts dazwischen.

Im Geburtsvorbereitungskurs bei unserer Hausgeburtshebamme war offensichtlich, welche Windeln zumindest sie favorisierte: die ökologischen Stoffwindeln natürlich, und zwar die ganz klassischen zum Binden und Falten mit Wollüberhöschen drüber. Das tägliche Waschen sei natürlich anstrengend, das allabendliche Windelnfalten beim Fernsehen könne jedoch richtig Spaß machen, lernten wir. Und die nass gepieselten Wollhosen würden beim Trocknen über der Heizung ganz von alleine wieder hygienisch sauber. Klar, in normale Babykleidung würden die Stoffwindel-Babys mit ihrem riesigen Windel-Po meist nicht hineinpassen, aber in dem Fall könnten wir ja auf selbstgenähte Pumphosen zurückgreifen …

Für meinen Mann und mich klang das alles ziemlich abschreckend. Wir hatten ordentlich Respekt vor dem Babyalltag auch ohne zusätzliche Wäscheberge, und konnten uns Schöneres vorstellen als den Abend mit Windelfalten zwischen ausdünstenden Wollhosen zu verbringen. Also wickelten wir unsere beiden Töchter  stets und ausschließlich mit Wegwerfwindeln – und waren damit sehr zufrieden. Unsere Mädchen fühlten sich darin wohl, waren praktisch nie wund und beide zuverlässig kurz vor dem 3. Geburtstag trocken. Nur die Müllberge, die wir mit unseren beiden Wickelkindern produzierten, machten mir hin und wieder ein schlechtes Gewissen. Doch dann guckte ich auf unsere Wäscheberge, die sich auch ohne Stoffwindeln in unermessliche Höhen stapelten, und schob den Gedanken an die umweltfreundlicheren waschbaren Windeln schnell wieder beiseite.

Trotzdem gab es immer wieder Momente, in denen ich mich für die Pampers am Po meiner Babys regelrecht schämte. Denn in „Attachment Parenting“-Kreisen schienen die bunten Stoffwindeln genauso zum guten Ton zu gehören wie das Tragetuch und das lange Stillen. Und so hatte ich in Stillgruppen und Babytreffs oft das schale Gefühl, zwar die Basics des bindungsorientierten Familienlebens – das Stillen, das Tragen, das Co-Sleeping und das Nicht-Schreienlassen – ganz gut hinzukriegen, aber damit noch lange keine wirklich gute Mutter zu sein, die die Windelwäsche nicht scheut oder gleich gar keine Windeln braucht, weil sie schließlich intuitiv spürt, wann ihr Baby mal muss.

In Stillgruppen und Krabbelkreisen habe ich mich oft geschämt – ich stillte zwar lange und trug meine Babys im Tragetuch, doch die Stoffwindeln fehlten.

Quatsch, sagte mein Mann dazu. Du bist eine fantastische Mutter. Denn du gibst unserem Baby alles, was es brauchst. Deine Milch, deine Aufmerksamkeit, und deine Nähe, Tag und Nacht. Das ist alles, was zählt. Welche Windel unser Baby trägt, ist dem Baby egal. Es wäre vielleicht besser für die Umwelt, andere Windeln zu verwenden. Aber es wäre nicht besser für unser Baby. Für unser Baby ist es wichtig, dass es uns Eltern gut geht. Dass wir entspannt sind, und fröhlich, und nicht frustriert von Wäschebergen, die niemals kleiner werden. Erinnerst du dich nicht an das siebte Baby-B? Balance and boundaries? Unsere Grenze liegt eben bei Stoffwindeln. Das würden wir nicht auch noch schaffen.

Und so machte ich meinen Frieden damit, eine „Attachment Parenting“-Mom zu sein, die mit Pampers wickelt.

Dass es in der Windelfrage in Wirklichkeit gar nicht um so ein striktes Entweder-Oder geht wie ich in der Baby- und Kleinkindzeit meiner Mädchen den Eindruck hatte, verstand ich erst Jahre später.

Mein erstes Schlüsselerlebnis war dabei ein Interview, das ich für die Zeitschrift ELTERN mit meiner Freundin Julia Dibbern führte. „Jede Windel weniger ist ein Gewinn“, sagte Julia in diesem Gespräch, in dem es eigentlich gar nicht um Stoffwindeln, sondern um das Thema Windelfrei ging. Lachend erklärte meine Freundin mir, dass der sichere Weg ins Windelfrei-Desaster der Anspruch sei, sofort zu hundert Prozent ohne Windeln auskommen zu können. Stattdessen riet sie zu einer gewissen Lockerheit: Wenn das Geschäft ins Töpfchen geht, ist es gut. Und wenn es in die Windel geht, ist es auch gut. Klingt banal, war aber für mich ein echter Augenöffner: Wenn sich Eltern gar nicht zwischen Windeln und Windelfrei entscheiden müssen, sondern einfach je nach Laune beides machen können – müsste dann nicht auch eine entspannte Kombi von Wegwerf- und Stoffwindeln möglich sein?

Das zweite Schlüsselerlebnis war dann eine Begegnung bei den Dresdner Tragetagen: Dort traf ich nämlich Stephanie von der Windelmanufaktur und bestaunte zum ersten Mal ihre wunderschönen handgemachten Stoffwindeln, die mit den naturbraunen Wickelwindeln aus dem Geburtsvorbereitungskurs so gar nichts zu tun hatten. Nein: Diese Windeln waren richtige kleine Schmuckstücke, die im Handling nicht komplizierter wirkten als die vertrauten Wegwerfwindeln. Kein Binden, kein Falten, einfach Druckknöpfe schließen und fertig – das waren Windeln nach meinem Geschmack!

Allerdings hatte ich schon lange kein Wickelkind mehr, und so konnte ich die modernen Stoffwindeln selbst nicht ausprobieren. Dafür dachten Stephanie und ich uns etwas anderes aus: Drei Familien, die bisher nur mit Wegwerfwindeln gewickelt hatten, sollten für die Zeitschrift ELTERN die Windelmanufaktur-Windeln testen und mir darüber berichten. Das Ergebnis dieses Windeltests war für mich geradezu unglaublich: Alle drei Testfamilien waren total begeistert von den Windeln und wollten in Zukunft unbedingt weiter mit Stoff wickeln. Allerdings verzichtete keine der Familien komplett auf Wegwerfwindeln, stattdessen setzte jede auf ihren persönlichen Wohlfühlmix: Die einen setzten auf Stoffwindeln am Tag und Pampers in der Nacht, die anderen auf Stoffis zuhause und Wegwerfindeln unterwegs, in einer Familie wickelte die Mama mit Stoff, der Papa mit Plastikwindeln. Aber in allen Familien war der Windelmüll um über die Hälfte zurück gegangen. Faszinierend! Leider hat es der Windeltest in dieser Form schlussendlich aus redaktionellen Gründen so nie in die Zeitschrift geschafft – um eine größere Vielfalt der Stoffwindeln abbilden zu können, erzählte nachher nur eine Familie im Heft von ihren Erfahrungen mit den Windeln der Windelmanufaktur, und andere Familien stellten andere Stoffwindelsysteme vor. Für mich aber blieb das Ergebnis ganz klar: Stephanies Windeln sind einfach klasse!

Trotzdem kaufte ich auch in meiner dritten Schwangerschaft zunächst einmal die gewohnten Wegwerfwindeln für unser Baby ein. Mich im Wochenbett in ein neues Wickelsystem einzufuchsen, traute ich mir schlicht nicht zu. Doch als dann einige Wochen nach Jakobs Geburt ein großes Paket Windelmanufaktur-Windeln bei uns eintrudelte, die mir eine gute Freundin für die Wickelzeit leihen wollte, legte ich gleich los. Und war bald ebenso begeistert wie unsere Testfamilien: Die Windeln waren wunderschön anzusehen, leicht anzulegen und abzunehmen, für unser Baby augenscheinlich sehr bequem und die Wäscheberge hielten sich dank der herausnehmbaren Innenwindel einigermaßen in Grenzen. Am allerwichtigsten war jedoch für mich, nicht mit dem Anspruch ans Stoffwickeln heranzugehen, jetzt eine „echte Stoffwindel-Mama“ werden zu müssen, der Wegwerfwindeln nicht ins Haus kommen. Stattdessen wurde Julias Windelfrei-Satz in leichter Abwandlung zu meinem neuen Motto: „Jede Wegwerfwindel weniger ist ein Gewinn.“ Ich war stolz auf jede Stoffwindel, die ich wechselte. Und griff ohne schlechtes Gewissen zu Pampers, wenn es mir gerade hilfreicher erschien.

Stoffwindeln soll Spaß machen, deshalb ist jede Form von Perfektionismus dabei fehl am Platz.

Mittlerweile ist das Wickeln mit Stoff für mich zu einer schönen, vertrauten Routine geworden. Ich mag den Anblick der bunten Windelhöschen und genieße das gute Umweltgewissen, das es mir macht, Jakobs Windeln zu waschen anstatt sie wegzuwerfen. Und trotzdem liegen auf unserem Wickeltisch nach wie vor und immer noch auch Pampers in der passenden Größe bereit – denn das Wickeln mit Stoff soll Spaß machen und kein Zwang werden. Und wenn wir in Eile sind, oder mit dem Waschen nicht hinterher kommen, oder lange unterwegs sein werden, oder aus irgendeinem anderen Grund gerade nicht zur Stoffwindel greifen können oder wollen – dann wickeln wir eben mit Wegwerfwindeln, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Bereue ich heute, nicht schon meine ersten beiden Babys mit Stoff gewickelt zu haben? Nein, denn ich denke: Attachment Parenting basiert immer darauf, die vorhandenen Ressourcen gut zu verteilen. Vor zehn Jahren war ich eine 23-jährige Studentin, die ein Baby hatte, das sich niemals ablegen ließ und die trotzdem 11 Monate nach der Geburt Examen machte. Wäsche zu waschen stand damals auf meiner Prioritätenliste denkbar weit unten (ehrlich gesagt kamen mein Mann und ich nur etwa alle 14 Tage dazu.) Dazu kam unsere finanzielle Situation: eine Stoffwindel-Grundausstattung für mehrere hundert Euro zu kaufen und nicht zu wissen, ob wir damit wirklich zurecht kommen würden, wäre für uns eine mehr als riskante Investition gewesen. Klar, Wegwerfwindeln kosten auch – aber einen 20-Euro-Windelkarton pro Monat zu kaufen fühlt sich – wenn das Geld ohnehin knapp ist – weniger heftig an als auf einen Schlag das Äquivalent einer Monatsmiete in Windeln zu investieren.

Heute ist unsere eine Lebenssituation eine andere: Ich bin Journalistin und Autorin in Elternzeit und habe mein Examen schon lange in der Tasche. In unserem Fünf-Personen-Haushalt läuft sowohl die Waschmaschine als auch der Trockner täglich, da fallen die paar Stoffwindeln extra im Wäschekorb kaum ins Gewicht. Und selbst wenn wir unsere Stoffwindel-Grundausstattung nicht geschenkt bekommen hätten, würde mich heute eine Investition von etwa 300-500 Euro in Windeln nicht mehr so schrecken wie vor zehn Jahren – schließlich verdienen wir heute schon lange unser eigenes Geld.

Mit Stoffwindeln zu wickeln macht Spaß, kostet aber auch mehr Zeit, Kraft und Nerven. Manche Eltern haben die Ressourcen dafür – andere nicht.
Deshalb sind sie aber noch lange nicht weniger bedürfnisorientiert!

Natürlich gibt es auch Familien, die ihre Prioritäten anders setzen. Die auch wenig Geld und wenig Zeit und keinen Trockner haben, und die trotzdem Stoffwindeln verwenden. Oder trotz Zeit, Geld und täglich laufender Waschmaschine zu Pampers greifen. Ist doch klar. Doch für jede Familie gilt: Wir haben nur ein bestimmtes Maß an Ressourcen, und es ist extrem wichtig, dass wir mit ihnen gut haushalten. Attachment Parenting zu leben kann dabei extra Ressourcen frei werden lassen (schließlich fallen viele blöde Erziehungskämpfe dadurch schlicht weg), es kann aber auch viele Ressourcen kosten (etwa durch durchgestillte Nächte in Kombination mit wenig Zeit für den Haushalt, weil die Bedürfnisse des Babys immer vorgehen).

Attachment Parenting ist eine Frage der Haltung – und nicht der Windeln!

Eins hat sich jedenfalls in den vergangenen zehn Jahren für mich deshalb nicht geändert: Stoffwindeln sind eine tolle, umweltfreundliche Sache– aber sie sind aus gutem Grund kein Bestandteil der „Attachment Parenting“-Philosophie. Wenn wir also bedürfnisorientiert mit unseren Kindern umgehen und dazu noch (teilweise) mit Stoff wickeln, ist das super für unsere Kinder und für unseren Planeten. Aber eine richtig gute „Attachment Parenting“-Mom kann ihre Babys genauso mit Pampers wickeln. Deshalb lächle ich den Mamas in der Stillgruppe und bei der Rückbildungsgymnastik, die ihre Babys mit Wegwerfwindeln wickeln, immer besonders freundlich an. Denn ich weiß: Gerade in „Attachment Parenting“-Kreisen kann man als nicht mit Stoffwindeln wickelnde Mutter schnell in eine Spirale aus Scham und Schuldgefühlen rutschen. Dabei ist ein bedürfnisorientierter Umgang mit unseren Kindern immer und ausschließlich eine Frage der Haltung – und nicht der Windeln.