Mein Sohn ist 15 Monate alt und geht nicht in die Kita. Er ist mit mir zu Hause, von morgens bis abends, jeden Tag. Wir spielen und lesen zusammen, gehen ein Mal in der Woche zum Musikkurs und ab und zu zur Stillgruppe und ins Familienzentrum. Uns geht es gut, eigentlich. Aber ich vermisse ruhige Zeiten zum Schreiben so sehr, dass es schmerzt. So viele Texte, die ich in meinem Kopf längst geschrieben habe, aber einfach nicht zu Papier bringe.

Ein kleines Kind von einem Menschen außerhalb der Familie betreuen zu lassen, ist keine Kleinigkeit. Es gehört viel Vertrauen dazu, und Menschen, die dieses Vertrauen verdienen. Gleichzeitig sind wir Menschen seit jeher eine kooperativ aufziehende Art, also nicht dafür gemacht, alles alleine zu schaffen.

Dieses Dilemma spüre ich jeden Tag: Ich will mein Baby nicht in eine der Krippen in unserem Umfeld geben, weil ich nicht das Gefühl habe, dass dort so bindungsorientiert gearbeitet wird, wie ich das für Kleinkinder für wichtig halte. Und gleichzeitig fehlt mir meine Arbeit, und ich fühle mich oft einsam an diesen langen Tagen allein mit meinem kleinen Sohn. Ich sehne mich nach Unterstützung, nach Pausen, nach Zeit für mich.

Was tue ich nun? Es ist schwer, sich in dieser Entscheidung frei zu fühlen, denn der Druck von allen Seiten ist immens. In unserem Familienzentrum hat sich gerade erst eine Spielgruppe extra für “Selbstbetreuer” gegründet, die davon überzeugt sind, dass jegliche U3-Betreuung Gift für die Bindung ist. Und als bindungsorientierte Autorin werde ich immer wieder mit der Erwartung konfrontiert, doch auf jeden Fall ohne familienexterne Betreuung auskommen zu müssen – als sei der Verzicht darauf Bedingung dafür, nicht aus dem Kreis der Bindungsorientierten ausgeschlossen zu werden.

Es ist schwer, sich in der Betreuungsfrage nicht unter Druck gesetzt zu fühlen. Denn beide Seiten fahren schwere Geschütze auf.

Gleichzeitig erlebe ich natürlich auch den Druck von der anderen Seite: Hier in Sachsen gehen sehr, sehr viele Kinder spätestens mit dem ersten Geburtstag ganz selbstverständlich in die Kita, und wer da nicht mitzieht, steht schnell als Glucke da, die ihrem Kind wertvolle frühkindliche Bildungschancen verwehrt.

Mir ist das zu viel Ideologie, zu viel Druck, zu viel ‘Unser Weg ist der einzig richtige’ von beiden Seiten. Die Drohungen ähneln einander dabei auf erschreckende Weise: Wenn du DAS tust, schadest du deinem Kind!

Doch Angst ist niemals ein guter Ratgeber. Also mache ich mich auf die Suche nach bindungsorientierten Wegen, die Bedürfnisse meines Sohnes mit meinen eigenen unter einen Hut zu bekommen. Wie beim Stillen und beim Schlafen auch.

Ich finde: Familien, die ein bindungsorientiertes Au Pair bei sich aufgenommen haben. Eltern, die rockzipfeln, also in Co-Working-Büros mit Kindern arbeiten. Ich lerne Mütter-Teams kennen und Freilerner und Menschen, die großartige bindungsorientierte Kitas und Tagesmütter oder -väter gefunden haben.

Ich sehe: Es gibt so viel Freiheit zwischen #kitafrei und Kitapflicht. So viele geborgene, geliebte, sicher gebundene Kinder, deren Eltern einen guten Weg gefunden haben, Betreuung innerhalb und außerhalb der Familie artgerecht zu gestalten.

Und ich finde heraus: im Alter meines Sohnes wird etwa die Hälfte aller Kinder in Deutschland ausschließlich innerhalb der Familie betreut, die andere Hälfte auch woanders. Egal, wie wir uns entscheiden, gehören wir also keiner unterdrückten Minderheit an, die sich gegen die Übermacht der Kitagänger oder Kitagegner zur Wehr setzen muss. Kitafrei zu leben ist in unserem Land exakt genauso normal und verbreitet wie externe Betreuungsangebote zu nutzen.

Und die Wissenschaft, die so oft von beiden Seiten als Kronzeugin angeführt wird, sagt letztlich nur, dass es Kindern mit beiden Wegen sehr, sehr gut gehen kann – so lange sie im Alltag Feinfühligkeit und einen liebevollen, respektvollen Umgang erleben.

Mein Sohn ist 15 Monate alt, und wird bald einige Stunden in der Woche bei einer bedürfnisorientierten Tagesmutter verbringen. Ich habe lange suchen müssen, um einen Menschen zu finden, dem ich mein Kostbarstes für einige Zeit anvertrauen kann und will, damit ich mein Bedürfnis nach Zeit für mich und meine Texte nicht dauerhaft hinten an stellen muss. Und freue mich nun darauf, liebevolle Unterstützung in unserem Großstadtleben fern jeder Großfamilie zu erfahren.

Denn das ist es doch, was bindungsorientierte Elternschaft wirklich bedeutet: immer wieder nach neuen Wegen zu suchen, Bedürfnisse in Einklang zu bringen.