“Kinder brauchen Eltern, die feinfühlig auf ihre Bedürfnisse achten, ohne sich darüber selbst zu vergessen” – als ich diesen Satz neulich veröffentlichte, bekam ich von vielen Müttern die Rückfrage: Klingt gut, aber wie geht das?

Mein Eindruck ist: Schreibe ich über kindliche Bedürfnisse, sind alle meine Leserinnen und Leser ganz schnell an Bord – klar, die sind wichtig. Schreibe ich hingegen über Selbstfürsorge, persönliche Grenzen, eine gesunde Balance der Bedürfnisse, ist die Unsicherheit oft groß. Soll ich jetzt also doch mein Bedürfnis über das meines Kindes stellen? Aber ist nicht gerade der Kerngedanke bindungsorientierter Elternschaft, genau das nicht zu tun?

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum viele Eltern sofort zustimmen, wenn ich dazu auffordere, feinfühlig auf die Bedürfnisse unserer Kinder zu achten. Und gleichzeitig so unsicher werden, wenn es um ihre eigenen geht. Dabei beschreibe ich doch nur zwei Seiten der selben Medaille: Menschen brauchen es, in ihren Bedürfnissen gesehen und ernst genommen zu werden. Egal, ob sie 4 Monate oder 34 Jahre alt sind.

Dabei kam mir eine Situation in den Sinn, die nun schon 20 Jahre her ist. Ich war 14 Jahre alt, Schülerin eines Gymnasiums irgendwo in Süddeutschland, und ein Teenager wie alle anderen – fast. Denn während sich meine Freundinnen mit den typischen Teenie-Selbstzweifeln quälten und sich selbst überkritisch betrachteten, stand ich daneben und dachte: Warum reden sie nur alle so schlecht über sich selbst? Wieso machen sie sich so fertig? Ich konnte mir diesen Selbsthass einfach nicht erklären. Und wenn ich gefragt wurde, was mich denn an mir störe, sagte ich, durchaus etwas trotzig: “Ich finde mich goldrichtig, genau so wie ich bin.”

Dabei wiederholte ich die Botschaft, die mich von frühster Kindheit an immer begleitet hatte. Wohl keinen Satz hatte ich häufiger gehört als diesen: “Du bist goldrichtig, genauso wie du bist.”

Goldrichtig. Ich liebte dieses Wort, das nach Schätzen und Märchen klang.

Goldesel. Goldmarie. Goldrichtig. Das bin ich.

Heißt das, das ich immer frei von Selbstzweifeln bin? Gewiss nicht. Natürlich durchlebte auch ich als Jugendliche und junge Erwachsene Phasen, in denen ich ganz und gar nicht mit mir im Reinen war, und in denen ich keinen so liebevollen Blick auf mich selbst hatte. Doch auch in diesen Zeiten haben mich die Worte meiner Kindheit getragen: Du bist goldrichtig, genauso wie Du bist.

Und vielleicht sind es diese Worte, die es mir heute als Mutter dreier Kinder leichter machen als manch anderen, über den Bedürfnissen meiner Kinder meine eigenen nicht aus dem Blick zu verlieren. Natürlich muss auch ich mich immer wieder daran gewöhnen, was mein Kind nun Neues braucht und Neues kann, gerade auf dem Weg vom Baby zum Kleinkind ist die Veränderung da ja immens.

Doch von der Neugeborenenzeit an war für mich immer klar: Die Bedürfnisse meines Babys sind unendlich wichtig. Aber nicht wichtiger als ich.

Und klar, als Erwachsene kann und will ich meine eigenen Bedürfnisse anfangs häufig hinten anstellen. Doch je älter mein Kind wird, desto stärker bin ich in der Verantwortung, für mein körperliches und seelisches Wohlergehen genauso feinfühlig zu sorgen wie für das meiner Kinder.

Denn ich bin richtig, und ich bin wichtig. Und Ihr seid es auch!

Fürs neue Jahr wünsche ich Euch deshalb allen dieses Gefühl als Kompass und Wegbegleiter, das mich schon seit so vielen Jahren trägt: Du bist goldrichtig, genauso wie Du bist.

Ich freue mich, wenn ich Euch weiterhin dabei begleiten darf, die Bedürfnisse Eurer Kinder auf konsequent bindungsorientierte Weise mit Euren eigenen unter einen Hut zu bekommen!

Eure

Nora Imlau