Nachdem ich gestern hier im Blog die Mutter eines Freilerners erzählen ließ, warum sie und ihr Mann sich über die Schulpflicht hinweg gesetzt haben, gibt es heute ein Statement von der anderen Seite: Der Ludwigsburger Philosophie- und Pädagogik-Professor Matthias Rath hat zwar großes Verständnis für Eltern, die sich mehr Bildungsfreiheit für ihre Kinder wünschen. Sagt aber trotzdem: An der Schulpflicht darf nicht gerüttelt werden.

„Ich verstehe, dass es einige Eltern gibt, die sich daran stören, dass Kinder in Deutschland nicht nur zur Schule gehen dürfen, sondern auch zur Schule gehen müssen. Doch wer gegen die Schulpflicht ankämpft, kämpft damit aus meiner Sicht gegen eine der größten und wichtigsten Errungenschaften unserer Geschichte. Schließlich wurde die Schulpflicht wurde vor knapp dreihundert Jahren auch aus der aufklärerischen Überzeugung heraus eingeführt, dass jedes Kind ein Recht auf Bildung hat, unabhängig von seiner sozialen Herkunft.

Um sicher zu stellen, dass dabei kein Kind zurückgelassen wird, ist Bildung in Deutschland eine sogenannte hoheitliche Aufgabe und damit – genauso wie etwa die Arbeit der Gerichte oder der Polizei – keine Privatsache. Und das ist auch gut so, denn: Nur so kann lässt sich verhindern, dass von einer privat organisierten Bildung nur diejenigen profitieren, die ohnehin schon beste Startchancen ins Leben haben, während alle anderen auf der Strecke bleiben.

Die Schulpflicht sichert Kindern ihr Recht auf Bildung zu – unabhängig von den Überzeugungen ihrer Eltern.

Denn Schulpflicht, das heißt nichts anderes als: Schule ist für alle da! Hier lernen Kinder nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch die ganze Buntheit des Lebens kennen. Kinder mit ganz unterschiedlichen Hintergründen entdecken im Unterricht schließlich nicht nur gemeinsam Naturwissenschaften und Sprachen, Literatur und Kultur. Sie entwickeln dabei auch soziale Kompetenzen und werden mit unterschiedlichen Meinungen und Glaubenssätzen konfrontiert. Allein schon aus diesem Grund können wir  es als Gesellschaft nicht zulassen, dass Eltern ihre Kinder von diesem weltoffenen Austausch abschotten um ihnen ihre eigenen politischen oder religiösen Überzeugungen als einzig gültige Wahrheit zu vermitteln.

Mir ist aber auch bewusst, dass viele Eltern nicht aus ideologischen oder religiösen Gründen gegen die Schulpflicht ankämpfen, sondern schlicht weil sie sehen, dass ihre Kinder in der Schule leiden. Und diese unglücklichen Kinder als bedauerliche Einzelfälle abzutun, wird der Problematik nicht gerecht. Bei guter Bildung geht es schließlich immer um das Wohl jedes einzelnen Kindes. Deswegen sage ich ganz klar: Wer wie ich die Schulpflicht verteidigt, muss sich auch für bessere Schulen stark machen– durch bessere Lehrerbildung, durch Evaluation der Schulen und durch aktive Elternbeteiligung . Gerade die schulkritischen Eltern möchte ich einladen: Engagieren Sie sich im Elternbeirat, bedrängen Sie die Politik, gründen Sie  im Notfall eine eigene Schule, die Ihrem Traum von Bildung entspricht! All das ist konstruktiver, als gegen eine Pflicht anzugehen, die Kinder davor schützt, von ihren Eltern als Privateigentum betrachtet zu werden und nicht als das, was sie sind: Eigenständige Menschen, die ein Recht auf umfassende Schulbildung haben!

Dieses Statement protokollierte ich ursprünglich 2014 für die Zeitschrift ELTERN family.