Als ich mich als junge, kinderlose Studentin zum ersten Mal mit den sieben Bausteinen des „Attachment Parenting“ beschäftigte, waren es nicht vorrangig die vielen Vorteile des Stillens, die mich von der bindungsorientierten Elternschaft überzeugten, und auch nicht der Fokus auf das Tragen oder das Familienbett. Nein: Es war die Idee, dass eine sichere Bindung der Schlüssel zu einer gelingenden Eltern-Kind-Beziehung ist – und dass dazu ganz unbedingt „Balance and Boundaries“ gehören, also eine Balance der Bedürfnisse und (persönliche) Grenzen.

Not „Me first“
But „Me too“

beschreibt die amerikanische Autorin L.R. Knost diese Haltung sehr treffend, die meine Richtschnur und mein Leitstern im Umgang mit meinen Kindern werden sollte.

Mein persönlicher Leitstern als Mutter ist Motto
Not me first
But me too

Heute denke ich: Vielleicht ist das diese Grundhaltung der Grund dafür, dass mich das Muttersein mich zwar sicher manchmal an meine Grenzen brachte, ich mich aber durch unseren bindungsorientierten Weg nie unter Druck fühlte. Im Gegenteil: Wenn mein Perfektionismus mir mal wieder im Nacken saß und mich hart und unnachgiebig mit mir selbst werden ließ, erinnerte ich mich an den Wahlspruch einer meiner Bekannten aus der kanadischen Attachment Parenting Community:  „You can’t pour from an empty cup“. Ins Deutsche übersetzt heißt das ungefähr: „Aus einer leeren Schale kann keiner schöpfen“, und das bedeutet: Wer sich nicht gut um sich selbst kümmert, kann sich irgendwann um niemanden mehr kümmern.

Wenn nun in Blogbeiträgen und Artikeln ausgerechnet die Attachment Parenting Community für Selbstaufopferung und Mütter-Burn-Out verantwortlich gemacht wird, reibe ich mir überrascht die Augen: Ausgerechnet die Menschen, die mich auf meinem Weg als Mutter so gestärkt haben, sollen für so viel Unheil verantwortlich sein?

Doch dann fällt mir auf: Vielleicht sprechen wir einfach von ganz verschiedenen Communitys. Wenn junge Eltern ausschließlich im Internet auf bindungsorientierte Ideen stoßen, in Foren und Facebookgruppen, wo die extremsten Stimmen ja oft am lautesten schreien – ja, dann kann es passieren, dass der Eindruck entsteht, Attachment Parenting sei ein gnadenloser Mütterwettbewerb, in dem kein Raum für Schwäche und Selbstfürsorge bleibt. Das ist ein Problem, über das ich schon öfter geschrieben habe, und gegen das ich mit meinen Texten, Büchern und Artikeln seit Jahren anzuarbeiten versuche.

Deshalb sage ich auch hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Attachment Parenting bedeutet für mich in erster Linie bedingungslose Liebe und Fürsorge. Und zwar meinen Kindern gegenüber genauso wie mir selbst.

Konkret bedeutet das:

Ich habe mit aller Macht dafür gekämpft, meine Tochter trotz schlimmer Schmerzen und schrecklicher Stillprobleme stillen zu können, weil mir das für sie und mich wichtig war. Und habe sie gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen mit anderthalb Jahren nachts und mit zwei Jahren ganz abgestillt, weil es in einer Stillbeziehung beiden gut gehen muss.

Ich habe meine Kinder nie schreien lassen und begleite auch meine Achtjährige noch in den Schlaf, wenn sie sich das wünscht. Aber es gibt bei uns auch eine feste Bettgehzeit, die garantiert, dass mein Mann und ich jeden Abend auch noch einen Feierabend für uns haben, bevor wir selbst ins (Familien-)Bett gehen.

Ich habe meine Babys gerne und viel getragen und die Nähe dabei genossen, daraus aber nie ein Dogma gemacht: mochte ein Kind auch gerne im Kinderwagen liegen, wurde es auch mal geschoben.

Weil ich weiß, dass ich genügend Schlaf brauche, um eine zugewandte, feinfühlige Mutter sein zu können, war mir unsere gemeinsame Nachtruhe immer heilig. Deshalb haben meine Stillkinder stets direkt neben mir geschlafen, so dass ich zum Stillen gar nicht richtig wach werden musste. Ich habe mich aber auch – von wenigen Ausnahmen bei Krankheit abgesehen – geweigert, nachts aufzustehen und ein Baby beispielsweise durch die Wohnung zu tragen. Ich fand: alle Grundbedürfnisse – das nach Nähe, das nach Nahrung, das nach Sicherheit – kann ich auch liegend im Familienbett erfüllen (auch, wenn ein Baby dann vielleicht mal etwas länger in meinem Arm weint). Alles, was darüber hinausgeht – tragen, schuckeln, auf dem Pezziball hopsen- ist allenfalls ein Wunsch, der nicht über meinem Bedürfnis nach Schlaf steht.

Mir ist es wichtig, dass meine Kinder von feinfühligen, liebevollen Menschen im Rahmen sicherer, vertrauensvoller Bindungen ins Leben begleitet werden – aber ich habe nicht den Anspruch, dass mein Mann und ich das allein schaffen müssen. Dass bindungsorientierte Babysitter, Tagesmütter, Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer unseren Clan ergänzen, ist für mich ganz selbstverständlich.

Ich habe von Jesper Juul gelernt, dass ein authentisches Nein die liebevollste aller Antworten sein kann, weil ich meinen Kindern damit zeige: Ich bin mir meiner eigenen Grenzen bewusst und kann gut auf mich selbst aufpassen – und ihr habt das Recht, dasselbe zu tun.

Eines der Geheimnisse guter Selbstfürsorge ist, dass ein Nein eine genauso liebevolle Antwort sein kann wie ein Ja.

In unserem Alltag soll es uns allen fünf gut gehen, nicht nur unseren Kindern. Ich sehe es dabei als Aufgabe von uns Eltern an, die verschiedenen Bedürfnisse so gut es geht unter einen Hut zu kriegen und im Zweifelsfall Zumutungen gerecht zu verteilen. Unsere Kinder würden sich beispielsweise lieber absolut immer von uns Eltern ins Bett bringen lassen als ab und zu von einem Babysitter. Wir wissen aber, dass verliebte, glückliche Eltern, die ab und zu mal einen Abend ganz für sich haben, die Basis für das Wohlergehen unserer gesamten Familie sind – und dass wir unseren Kindern deshalb den Frust, auch mal von jemand anderem in den Schlaf begleitet zu werden, ohne Schuldgefühle zumuten können.

So sorge ich in meinem Alltag jeden Tag so gut ich kann für meine Kinder, für meinen Mann und für mich selbst – und mit meiner Arbeit auch noch ein bisschen für all die Eltern da draußen, die sich Anregungen für ein liebevolleres, leichteres Familienleben wünschen.

Ihnen möchte ich zurufen: Lasst Euch nicht abschrecken von verzerrten Schilderungen über den bindungsorientierten Weg, die „Attachment Parenting“ so dastehen lassen, als sei dabei die Aufgabe sämtlicher eigenen Bedürfnisse die erste Mutterpflicht. Sie treffen den Kern dieser Idee genauso wenig wie einzelne Radikale im Internet, die Eltern ein schlechtes Gewissen machen, wenn diese auch mal an sich denken.

Sorgt einfach gut für Euch selbst, und für eine Kinder – und lebt damit „Attachment Parenting“, ob Ihr es nun so nennen wollt oder nicht.