Eine Antwort auf Corinna Hauffs Text: Erziehungsratgeber sind von gestern. Die Eltern-Crowd kommt!

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Elternzeitschriften und Erziehungsratgeber boomen. In Buchhandlungen füllen sie viele Regalmeter, in den Wohnzimmern vieler Familien auch. Klassiker wie Remo Largos „Babyjahre“ oder Hettty van de Rijts und Frans X. Plooijs „Oje, ich wachse!“ verkaufen sich hierzulande besser als Romane von Lteraturnobelpreisträgern, und allein die Zeitschrift „Eltern“ erreicht jeden Monat über eine Million Leser.
Für solche Verkaufserfolge braucht es jede Menge junger Eltern, die Rat suchen. Und Autorinnen und Autoren, die Rat geben. Trifft die Autorin oder der Autor dabei ins Herz, können wunderbare Dinge geschehen – das weiß ich aus den vielen Leserbriefen, die mich in den vergangenen Jahren erreicht haben:

“Nach Ihrem Artikel war mir klar, dass unsere Stillzeit noch lange nicht vorbei sein muss.”“Als wir Ihren Text gelesen hatten, nahmen wir unseren Kleinen einfach zu uns ins Bett und ließen ihn nie mehr schreien.“„Nachdem ich Deine Reportage gelesen hatte, habe ich geweint. Und dann meinem Sternenkind endlich, mit drei Jahren Verspätung, einen Namen gegeben.“


All solcher berührenden Rückmeldungen zum Trotz haben Elternratgeber und Erziehungsmagazine ein Imageproblem. Sie gelten oft als besserwisserisch und betulich, bevormundend und verunsichernd – aus durchaus nachvollziehbarem Grund. Denn ja, es gibt sie, die so genannten Erziehungsexperten,  die Eltern allen Ernstes vorschreiben wollen, wann sie ihr Baby wie aus dem Bettchen nehmen dürfen und wann auf keinen Fall, und die dabei so moralisierend und altklug daherkommen, dass es zum Davonlaufen ist. Aber es gibt auch andere, viele andere Menschen, die so liebevoll und herzenswarm über das Kinderkriegen und Kinderhaben schreiben, dass es eine Freude ist. Und eine Bereicherung für alle, die sich selbst in dieses Abenteuer stürzen.

Ich selbst wäre nicht die Mutter, die ich heute bin, ohne Bücher, die ich gelesen habe. Wenn ich nicht zur Geburt meiner ersten Tochter Jean Liedloffs „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ geschenkt bekommen hätte. Wenn mir nicht Herbert Renz-Polsters „Kinder verstehen“ in die Hände gefallen wäre, als meine Tochter anderthalb Jahre alt und in meinen Augen oft ganz schön bockig war. Ohne Elizabeth Pantleys „Schlafen statt Schreien“ hätte ich mit meiner Jüngsten nachts möglicherweise irgendwann nachts die Nerven verloren, und ohne William Sears‘ „Attachment Parenting Book“ wäre mir nicht klar gewesen, dass weder Berufstätigkeit noch aushäusige Betreuung ein Grund zum Abstillen sind. Carlos Gonzales’ „Mein Kind will nicht essen“ hat mich auf den Weg des “Baby Led Weaning” gebracht, bevor ich den Begriff überhaupt kannte, und hätte ich heute noch einmal ein Baby, ich würde mir sofort Anja Constance Gacas und Loretta Sterns „Breifrei-Kochbuch“ kaufen.  Und Julia Dibberns “Verwöhn Dein Baby nach Herzenslust!”

All diese Bücher haben eins gemeinsam: Ich fühle mich von ihnen nie belehrt oder herabgewürdigt, sondern stets gut informiert und bestärkt auf meinem Weg.

Aber brauchen wir dazu Erziehungsratgeber? Kommt diese Rückendeckung, dieses Mutmachen, dieses Beruhigen nicht – wie meine geschätzte Kollegin Corinna Knauff meint – viel besser von Freunden und Verwandten, eben unserer “Crowd”, dem neuen Clan im Internet?

 

Ich denke, wir brauchen beides. Menschen, mit denen wir uns austauschen können, und die uns binnen kürzester Zeit mit den unterschiedlichsten Theorien und Ansichten konfrontieren. Aber auch Autoren, die sich in Themen so tief einarbeiten, wie wir das als einzelne Mutter, als einzelner Vater nie im Leben könnten – und uns dann teilhaben lassen an ihrem Wissen und ihrem Erfahrungsschatz. In Texten und Büchern, die wir gerne lesen, weil sie uns sprachlich und stilistisch gefallen und weil wir uns von ihnen ernst- und mitgenommen fühlen.

Von solchen Büchern, davon bin ich überzeugt, kann es schon allein deshalb kaum genug geben, weil der Ratgebermarkt noch immer dominiert wird von Erziehungsexperten der alten Schule. Wer bliebe denn übrig in den Bücherregalen, wenn Autorinnen und Autoren wie William Sears und Carlos Gonzales, Herbert Renz-Polster und Julia Dibbern, Vivian Weigert und Jesper Juul keine Bücher mehr schreiben würden? Genau: Die Schlaflernprogrammverfechter, die Tyrannenprediger, die Stiller-Stuhl-Pädagogen.

Und deshalb werde ich weiter Erziehungsratgeber schreiben, und das so lange, wie ich das Gefühl habe, dass sie gebraucht werden. Und wenn ich mich dann eines Tages umsehe und feststelle, dass alle Eltern ganz selbstverständlich die Bedürfnisse ihrer Babys erkennen und ernst nehmen, und ihren Kindern natürlich mit Respekt und Wertschätzung begegnen, und wenn alle Schwangeren um mich herum Bescheid wissen über ihr Recht auf Selbstbestimmung und eine menschliche, würdige Geburt erleben – dann, ja, dann werde ich mich gerne nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen. Doch bis dahin kann ich all meinen wunderbaren bedürfnisorientierten Autorenkolleginnen und Autorenkollegen nur zurufen: Lasst uns nicht aufhören, darüber zu schreiben, was Kindern und Eltern gut tut. Denn unsere Bücher werden nicht nur gelesen. Sie werden auch gebraucht.