Über 100 Kommentare habt Ihr mir nun schon zu meinen Blog-Einträgen geschrieben – vielen Dank dafür! Jeder einzelne davon ist für mich und meine Arbeit wertvoll. Meist arbeite ich Eure Anregungen „hinter den Kulissen“ in mein Manuskript ein. Heute möchte ich Euch aber hier im Blog mal zeigen, zu was für Veränderungen so ein einzelner kluger Kommentar führen kann. Wir erinnern uns: Gestern hatte ich hier einen Text zum Thema Bindung online gestellt, den Blog-Leserin Josephine folgendermaßen kommentierte:

„Mir fehlt da noch ein bisschen die ‘Entwarnung’ für alle mit einem nicht ganz so optimalen Start.Hätte ich diese Buch nach einem Notkaiserschnitt, einem verkorksten Stillstart oder einer Frühgeburt mit langem KH-Aufenthalt in Händen, würde mir der Text wohl eher Angst machen.Denn wenn du von ‘Zutaten’ schreibst, hört es sich ein bisschen danach an, als würde Kuchen nicht aufgehen, wenn man davon eine weglassen muss.“

 

Ich las daraufhin meinen Text noch mal und stellte fest: Josephine hat vollkommen Recht! So kann das Bindungs-Kapitel nicht bleiben. Also strich ich die Zutaten-Liste und beschrieb stattdessen, worauf es beim Entstehen der Eltern-Kind-Bindung wirklich ankommt. Hier könnt Ihr den neuen Text lesen:

Bonding und Bindung

Jedes Baby kommt mit einem angeborenen Grundbedürfnis nach Bindung auf die Welt. Intuitiv bindet es sich an „seine“ Erwachsenen, die es versorgen. Das liebevolle Annehmen und Erwidern dieses kindlichen Bindungsbedürfnisses, das in den meisten Fällen durch die Eltern passiert, wird Bonding genannt. Wenn Bindung und Bonding ineinandergreifen, entwickelt sich daraus eine liebevolle, tragfähige Eltern-Kind-Beziehung.

Erst wenn die kindliche Bindung und das elterliche Bonding ineinandergreifen, kann eine vertrauensvolle Eltern-Kind-Beziehung wachsen.

Damit ein Baby sich an „seine“ Erwachsenen bindet, braucht es nicht viel. Weil es ohne Bindung nicht leben kann, ist es darauf programmiert, sich vorbehaltslos an diejenigen zu binden, die es versorgen. Bei Erwachsenen ist das anderes: Das Bonding mit ihrem Baby ist bei ihnen ein Prozess, auf denen sie sich einlassen müssen und der ihnen umso leichter fällt, je besser die Rahmenbedingungen sind.
Ideale Startbedingungen
Haben Eltern beispielsweise das Glück, nach einer natürlichen Geburt direkt mit einer ungestörten Kuschel- und Kennenlernphase ins Familienleben zu starten, und klappt dann auch das Stillen von Anfang an gut, sind die Umstände fürs erste Bonding ideal. Der Grund: Sowohl bei einer natürlichen Geburt als auch beim Stillen wird der Körper der Mutter regelrecht von Hormonen überschwemmt, die den Aufbau einer liebevollen, festen Bindung unterstützen. Mütter sind also in den ersten Stunden nach der Geburt schon aus hormoneller Sicht „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. Auch Väter sind jetzt mehr denn je auf Bindung gepolt: Während der Schwangerschaft ihrer Partnerin verändert sich nämlich auch ihr Hormonhaushalt. So steigt bis zur Geburt der Spiegel des Hormons Prolaktin, das besonders feinfühlig und fürsorglich macht, stetig an, während der Testosteron-Spiegel sinkt.

Eine natürliche Geburt, eine kuschelige Kennenlern-Zeit danach und eine von Anfang an funktionierende Still-Beziehungen – unter diesen Ideal-Bedingungen fällt es nicht schwer, sich ins eigene Baby zu verlieben.

Doch die ersten Stunden nach der Geburt sind nicht nur aus Hormon-Gründen besonders günstig fürs Bonding. Auch das Baby ist in den ersten ein bis zwei Stunden nach einer natürlichen Geburt in einem Zustand „konzentrierter Wachheit“, wie Bindungsforscher sagen. Und das macht es den Eltern leicht, gleich Kontakt zu ihm aufzunehmen. Können Eltern diese erste Zeit mit ihrem Baby ungestört verbringen, empfinden sie  ihr Kind nachweislich im gesamten Babyjahr als pflegeleichter und unkomplizierter – auch wenn es sich objektiv nicht anders verhält als andere Babys.

Eltern können so einen guten Start wahrscheinlicher machen, indem sie etwa einen Geburtsort wählen, der natürliche Geburten unterstützt, und vor der Geburt absprechen, ob es möglich ist, die U1 auf dem Bauch der Mutter liegend durchzuführen und alle anderen Untersuchungen inklusive Messen und Wiegen auf später zu verschieben. Aber erzwingen können sie die optimalen Bonding-Bedingungen nicht. Denn wenn eine Frühgeburt einsetzt, oder ein Kaiserschnitt nötig ist, wenn Mutter oder Kind nach der Geburt erst einmal medizinisch versorgt werden müssen – dann können Eltern ihr Baby oft erst dann zum ersten Mal in den Arm nehmen, wenn die Extraportion Hormone, die eigentlich für diesen Augenblick vorgesehen war, schon lange nicht mehr da ist. Wenn dann noch Stillprobleme dazu kommen oder eine Infektion, wegen der das Baby auf eine andere Station verlegt werden muss, ist bei vielen Eltern die Sorge groß:

Haben wir jetzt die Chance zum Bonding verpasst?

Klare Antwort: Nein! Denn anders als bei manchen Tieren gibt Menschen keine „Bindungs-Zeitfenster“, das sich irgendwann wieder schließt. Die erste Stunde macht den Beginn der Eltern-Kind-Bindung besonders leicht – unersetzlich ist sie nicht. Denn den nachweislich wichtigsten Schlüssel zu einer tiefen emotionalen Verbundenheit mit ihrem Baby haben Eltern immer in der Hand: Sich durch Nähe vertraut zu werden. Enger Körperkontakt ist die Bonding-Strategie schlechthin.

Ein guter Start macht vieles leichter – unersetzlich ist er nicht.

Die Bindungsforschung belegt ganz klar: Wer viel mit seinem Baby kuschelt, baut dabei intuitiv eine feste Bindung zu ihm auf. Der Grund dafür ist nicht nur, dass bei jedem Hautkontakt zwischen Eltern und Kind kleine Mengen eben jenes Bindungshormons Oxytozin ausgeschüttet werden, das auch nach der Geburt und beim Stillen das Verlieben leichter macht. Sondern auch, dass Eltern, die ihrem Baby nah sind, mit ihm vertraut werden. Sie spüren, wie es ihm geht, und was es wann braucht. Sie lernen, seine Signale zu erkennen und seine Bedürfnisse zu befriedigen. Sich im Umgang mit dem eigenen Baby als so kompetent zu erleben, stärkt die Bindung zusätzlich.