„Du bist eine Frau und hast dein Kind selbst geboren? Dann mach mit und werde Teil einer einzigartigen Geschichte …“

Als mir dieser Aufruf vor einigen Tagen in der Timeline meiner Facebook-Seite begegnete, verstand ich erst gar nicht, worum es hier gehen sollte. Mir fiel spontan nur eine befreundete Mutter ein, die ihre beiden Kinder nicht selbst geboren hat – sondern adoptiert. Ansonsten haben doch alle Mütter selbst geboren – oder?

Ich klickte mich durch die Projektwebsite und lernte: Unter „selbst geboren“ versteht die Initatorin des Buchprojekts eine „Geburt aus eigener Kraft“, und diese wird von ihr wiederum als „ein physiologischer Geburtsverlauf, frei von Manipulation oder Eingriffen von Außen, also ohne künstlich eingeleitete Wehen, PDA, Kristellern, Dammschnitt, Saugglocke oder Kaiserschnitt“ definiert.

Ich habe nachgeschaut: Im Moment treffen diese Kriterien nur auf etwa acht Prozent aller Geburten in Deutschland zu. Diese Zahl erfüllt mich durchaus mit Sorge: Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder daran erinnert, dass eine Geburt keine Krankheit ist. Und dass hierzulande oftmals viel zu früh und viel zu stark in den Geburtsverlauf eingegriffen wird, mit negativen Folgen für alle Beteiligten.

Angesichts dieser Entwicklung ist es vielleicht verständlich, der Welt zeigen zu wollen, dass Geburt auch anders gehen kann – doch dabei mithilfe emotionslos angelegter Unterscheidungskriterien zwischen selbst- und fremdbestimmten, kraftvollen und schwachen Geburten unterscheiden zu wollen, führt das Anliegen geradezu ad absurdum.

In den vergangenen Tagen haben sich viele Mütter (und einige Väter) zu Wort gemeldet und von den Geburten ihrer Kinder berichtet, die nach den #selbstgeboren-Kriterien nicht kein Teil der einzigartigen Geschichte hätten werden dürfen: Weil sie eingeleitet wurden, weil eine Saugglocke zum Einsatz kam, oder weil irgendwann ein Kaiserschnitt notwendig war. Manche Frauen hatten Schreckliches erlebt, andere hatten ihre Geburt trotz mancher Eingriffe als stark und kraftvoll empfunden. Doch sie alle hatten ihre Kinder selbstverständlich und immer noch: selbst geboren.

Die Einteilung von uns Müttern in kraftvolle Selbstgebärende und schwache Entbundene trifft deshalb so ins Mark, weil sie an unserem Selbstbild rührt: Wir alle wollen doch für unsere Kinder Löwenmamas sein – und empfinden es oft als persönliches Versagen, unseren eigenen hohen Idealen nicht zu entsprechen.

Nie werde ich mein Gespräch mit einer jungen Hebamme vergessen, die sich Tag für Tag im Geburtshaus mit Verve für natürliche Geburten stark macht – und deren eigener Sohn schließlich ganz anders als erhofft per Kaiserschnitt zur Welt kam. Der Schmerz in ihren Augen, das Zur-Welt-Kommen ihres Kindes nicht so erlebt zu haben wie die vielen Mütter, die sie bei ihren Geburten begleitete, hat sich tief in meine Erinnerung eingebrannt. Wie dieser jungen Hebamme geht es vielen: Sie malen sich ihre Traumgeburt aus, treffen alle Vorbereitungen, und dann macht ihnen das Schicksal einen Strich durch die Rechnung.

Trotzdem würde ich jeder Frau dazu raten, sich vorher zu überlegen, wo und wie sie gebären will. Ich selbst habe das auch getan – und es nie bereut. Kamen die wütenden Reaktionen auf #selbstgeboren bislang vorwiegend von Frauen, für die die Projektkriterien Ausschlusskriterien wären, möchte ich mich heute nämlich an ihre Seite stellen als eine Mutter, die bei dem Buchprojekt theoretisch sogar hätte mitmachen dürfen. Meine beiden Töchter habe ich zu Hause geboren, mit der Begleitung wunderbarer Hebammen. Beide Geburten habe ich als wunderschön in Erinnerung.

Sicher habe ich dafür im Vorfeld getan, was ich konnte. Aber dass es dann tatsächlich auch alles geklappt hat wie erträumt, darauf bin ich nicht stolz. Dafür bin ich dankbar.

Diese Demut, diese Dankbarkeit fehlt mir beim Projekt #selbstgeboren. Dann ja, selbstbestimmte Geburten sind toll – aber sie sind kein persönlicher Verdienst, keine Goldmedaille im Mütterwettbewerb und erst recht kein Grund, sich hinzustellen und anderen Frauen zu sagen, dass diese zwar auch irgendwie, aber eben leider nicht selbst geboren hätten.

Jede Geburt ist eine Grenzerfahrung. Über sie zu sprechen, ist uns Müttern ein Bedürfnis, und fällt uns trotzdem oft schwer. Es gehört Mut dazu, in einer Gesellschaft über die eigenen Enttäuschungen und Verletzungen zu sprechen, wo doch alles als gut gilt, so lange das Kind nur gesund und munter ist. Doch es geht bei einer Geburt eben nie nur um das Endergebnis, sondern immer auch um die Gefühle von uns Frauen. Die Geschichte unserer Geburt mit anderen zu teilen, ist ein Geschenk. Unsere Geschichte einzuordnen in das große Spektrum schöner und schwerer Geburtserfahrungen, steht jedoch niemandem zu als uns selbst. Nur wir können sagen, ob wir uns trotz mancher medizinischer Eingriffe unter der Geburt stark und stolz und schön gefühlt haben – oder verängstigt und verletzt, obwohl von außen betrachtet vielleicht alles ganz komplikationsfrei lief.

Wir haben alle selbst geboren. Wir sind alle Teil einer einzigartigen Geschichte.

 

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