Der Artikel von Anne Dittmann, Welt Online ‚Rechte Ideologie auf Instagram: Sie treffen Mütter da, wo es weh tut‘ (Link zum Instagramartikel: https://www.instagram.com/p/CFOpuqvluAu/?utm_source=ig_web_button_share_sheet) hat das Thema rechte Unterwanderung der Bindungsorientierten Szene an die Öffentlichkeit gebracht. Auch ich möchte mich zu diesem Thema hiermit äußern und klar machen, dass ich das auch sehe und das ich darüber nachdenke, wie man damit umgehen kann.

Bindungsorientierte Elternschaft als Einfallstor für rechte Ideologien? Vielen erscheint dieser Gedanke erstmal absurd: Sind Nazis nicht für Abhärtung und Schreienlassen? Und basiert ein bindungsorientiertes familiäres Miteinander nicht automatisch auf freiheitlich-demokratischen Grundwerten?
Entsprechend tief sitzt der Schock bei vielen, seit in der vergangenen Woche ein Artikel nachzeichnete, was auch ich schon lange immer wieder beobachtete und beschreibe: Unsere bindungsorientierte Blase hat ein Nazi-Problem. Und es ist unser aller Aufgabe, davor nicht die Augen zu verschließen. Sondern aktiv dagegen vorzugehen.

Doch dafür müssen wir zunächst einmal verstehen, wie die Unterwanderung von Rechts funktioniert, und warum die bindungsorientierte Elternschaft dafür besonders anfällig ist. Das hat vor allem zwei Gründe.

Zum einen lieben Nazis Familienthemen, und das schon immer. Im Gegensatz zu Ausländerhass und Demokratiezersetzung sind sie nämlich ungeheuer anschlussfähig. Man muss sich nur mal das familienpolitische Programm der AfD anschauen: Rettung des Hebammenberufs, mehr Geld für Familien, nicht nur Krippenbetreuung fördern, sondern auch die Selbstbetreuung zu Hause. Sogar die Stillförderung steht hoch im Kurs. Klingt gut? Klingt hochproblematisch. Denn diese Agenda ist an ein Weltbild geknüpft, das nur einen einzigen Familienentwurf akzeptiert: die weiße heteronormative Versorgerehe.

Zum anderen haben Nazis schon immer einen Hang zur Überhöhung alles Natürlichen. So ist etwa der Begriff ‘Schulmedizin’ ein Wort, mit dem die wissenschaftsbasierte Medizin, die vielfach von jüdischen Ärzten praktiziert wurde, von den Nationalsozialisten gezielt abgewertet werden sollte zugunsten natürlicher germanischer Heilmethoden.

Womit wir wieder bei der bindungsorientierten Elternschaft wären. Die für eine Unterwanderung von rechts damit geradezu den idealen Nährboden bereitet. Zum einen, weil sie Familien und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Und zum anderen, weil sie dies vielfach mit einem Anspruch der Überlegenheit durch Natürlichkeit tut. Die natürliche Geburt ist besser als der böse Kaiserschnitt, das natürlich stillen der künstlichen Flasche weit überlegen, die natürliche Mutterliebe durch nichts zu ersetzen, erst recht nicht durch anonyme Fremdbetreuung.

Dazu kommt die hohe Affinität vieler bindungsorientierter Eltern zu Systemkritik in nahezu allen Belangen: Alternative Heilungsmethoden statt der schnöden Kassenmedizin stehen hoch im Kurs, freie Alternativschulen stellen die willkommene Fluchtmöglichkeit aus dem verhassten staatlichen Schulsystem dar, und alternative Impfschemata werden den offiziellen Empfehlungen vorgezogen. Selber denken, selbst entscheiden – das ist für viele Eltern hier ein ganz entscheidender Teil ihres Selbstbildes. Und ein großartiges Einfallstor für eine Bewegung, die sich selbst mit Vorliebe als Alternative für kritische Selbstdenker inszeniert.

Heißt das nun, dass wir alle rechts sind, ohne es zu merken? Nein, selbstverständlich nicht. Weder eine natürliche Geburt, noch das Stillen, noch der Verzicht auf Betreuung oder die Wahl einer Alternativschule machen irgendwen zum Nazi. Doch wenn wir der Unterwanderung der bindungsorientierten Elternschaft Widerstand leisten wollen, genügt es nicht, sich hinzustellen und die eigenen demokratischen Grundwerte zu beteuern. Kein Nazi zu sein, reicht im Kampf gegen Faschismus nicht aus. Was es braucht, ist echter Antifaschismus – die klare Positionierung, dass Rechte und ihre Ideologien hier nichts verloren haben, auch nicht unter dem Deckmantel unauffälliger Familienthemen.

Konkret heißt das: anstatt wieder und wieder zu beteuern, dass wir bindungsorientierten Eltern doch die Guten sind und ganz sicher nichts mit Faschismus im Sinn haben, müssen wir uns der schmerzlichen Wahrheit stellen, welche in unserer Community weit verbreiteten Überzeugungen unmittelbar anschlussfähig für Nazis sind:

Dass es die größte Erfüllung einer Frau ist, Mutter zu werden. Dass niemand ein kleines Kind lieben und versorgen kann wie die Frau, die es geboren hat. Dass Mütterlichkeit Selbstaufopferung heißt. Dass Stillen zum Muttersein einfach dazu gehört. Dass es nicht normal ist, wenn eine Frau nicht stillen will. Oder sich aus freien Stücken für einen Kaiserschnitt entscheidet. Dass Kinder einen Vater und eine Mutter brauchen. Dass Kinderhaben erfüllender zu sein hat als jede Karriere. Dass Fremdbetreuung schadet. Dass der Staat sich aus der Familie herauszuhalten hat. Dass Impfen eine rein individuelle Entscheidung ist und sein sollte. Dass Aufklärung über Geschlecht und Sexualität reine Elternaufgabe sei. Dass es nur einen richtigen Weg gibt, Kinder groß zu ziehen. Dass man alle Kinder bemitleiden muss, deren Eltern es anders machen.

Über diese problematischen Schnittmengen zwischen Nazi-Ideologie und vielfach in sich als bindungsorientiert bezeichnenden Elterngruppen müssen wir reden. Diese Narrative müssen wir bekämpfen, wenn wir wirklich keinen Nährboden für Nazi-Propaganda bereiten wollen. Oder, frei nach Ignazio Silone:

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus.

Er wird sagen: Es ist doch einfach auch fürs Kind wichtig, in einer richtigen Familie mit Mama und Papa groß zu werden, Muttermilch statt Pulverpapp zu bekommen und nicht fremdbetreut, zwangsgeimpft und frühsexualisiert zu werden.

Da müssen wir einhaken, jedes einzelne Mal. Nein sagen, stopp schreien. Laut und deutlich Stellung beziehen. Das ist anstrengend und unbequem, und für einen Menschen allein nicht zu schaffen. Aber für eine ganze Community muss es das höchste gemeinsame Ziel sein.