Undogmatisch zu sein schreibt sich jeder gern auf die Fahnen. Das klingt weltoffen, freundlich und tolerant – also so, wie wir uns selbst gerne sehen und wie wir sein wollen. Gleichzeitig hat fast jeder Mensch gewisse Herzensthemen, bei denen es ihm verflixt schwerfällt, nicht dogmatisch zu sein. Weil einem die eigene Überzeugung einfach so, so, so wichtig ist, dass man den Gedanken kaum erträgt, dass jemand eine andere Ansicht vertritt. „Die ganze Welt muss doch sehen können, was ich sehe“ – dieses Gefühl zu haben, ist menschlich und überhaupt nichts Schlechtes, sondern ein Zeichen echter Leidenschaft und Hingabe für ein Herzensanliegen.

Die spannende Frage ist, was als nächstes passiert.

Trete ich entschieden und mit Verve für meine Sicht auf die Dinge ein? Bleibe ich dabei ganz bei mir und zeige ich mich selbst sichtbar, und angreifbar, und verletzlich? Dann zeige ich Haltung.

Versuche ich, alle Welt mit Macht dazu zu missionieren, meine Ansicht als die einzig Richtige anzuerkennen? Greife ich dabei zu Vorwürfen und Schuldzuweisungen gegenüber Andersdenkenden? Behaupte ich, die einzig moralisch richtige Position zu vertreten? Dann zeige ich Dogmatismus.

Stellt sich die Frage: Ist das schlimm? Kann es nicht auch legitim sein, in einer wirklich wichtigen Frage auch mal dogmatisch zu sein? Schließlich behandeln wir in unserer Gesellschaft eine gewisse ideologische Verbohrtheit, echte Herzensthemen betreffend, ja oft durchaus als lässliche Sünde:

„Ich bin zwar ein toleranter Mensch, aber beim Thema Leihmutterschaft bin ich einfach dogmatisch, so leid es mir tut.“

„Klar bin ich für Selbstbestimmung und so weiter, aber Abtreibung ist für mich nun mal Mord, da kann man mich gern dogmatisch nennen.“

„Was das Schreienlassen von Babys angeht, bin ich gern dogmatisch und intolerant.“

Ich denke:

Leidenschaft ist keine Entschuldigung für Dogmatismus, und echte Herzensanliegen kein Grund für Intoleranz.

Denn so menschlich es ist, dogmatische Gedanken und Gefühle zu entwickeln, so wichtig ist es meiner Ansicht nach, diese zu reflektieren und als solche zu erkennen – um dann in einem zweiten Schritt die eigene Festgefahrenheit zu überwinden.

Das heißt nicht, dass wir sämtliche Haltungen gleich gut finden oder alles kritiklos hinnehmen müssten. Ein Austausch über unterschiedliche Standpunkte auf Augenhöhe ist richtig und wichtig.

Doch Dogmatismus zerstört genau diesen Dialog.

Wer dogmatisch ist, will sein Gegenüber mit allen Mitteln zu seiner Wahrheit erziehen – in der festen Überzeugung, damit für das Gute, das Wahre, das Richtige einzustehen.

Und merkt dabei vor lauter Leidenschaft gar nicht, dass sich selbst die beste Idee ins Gegenteil verkehrt, wenn sie zur Ideologie erhoben wird.

Die Welt wirklich zum Besseren zu verändern, geht anders: Mit Sanftmut. Und Geduld. Und Ehrlichkeit. Und Authentizität.

Wenn ich mich zeige, wie ich bin – ein Mensch, auf seinem persönlichen Weg, mit allen Schwächen und Fehlern – dann gebe ich anderen die Chance, sich von meinen Werten etwas mitzunehmen, das sie anspricht und berührt. Ganz ohne Druck oder schlechtes Gewissen.

Oder, wie es der Philosoph und Anti-Dogmatiker Karl Popper formulierte: „Ich mag unrecht haben, und Du magst recht haben; und wenn wir uns bemühen, dann können wir zusammen vielleicht der Wahrheit etwas näher kommen.“