Wie die meisten guten Ideen ist auch die, Babys selber essen zu lassen, nicht neu. Doch dass Babys ausschließlich Fingerfood brauchen, um groß und stark zu werden – das hat die englische Hebamme und Stillberaterin Gill Rapley als Erste erforscht. Sie prägte den Begriff des „Baby-led Weaning“, um Eltern zu zeigen, dass es eine legitime Alternative zum klassischen Breifüttern gibt. Ich habe mit der dreifachen Mutter gesprochen.

Frau Rapley, träumen Sie von einer Welt ohne Babybrei?
Ich würde es anders formulieren: Ich wünsche mir, dass alle Babys mit Lust und Entdeckerfreude ins Beikostalter starten können. Ab dem Alter von etwa 6 Monaten sind sie in der Lage, Lebensmittel selbst mit den Händen zu greifen und zum Mund zu führen – warum sollten sie es dann nicht tun? Indem wir einem Baby Löffel für Löffel in den Mund schieben, berauben wir es so vieler sinnlicher Erfahrungen: Nahrungsmittel selbst auszuwählen, zu betasten und zu probieren, zu spüren, das eine Banane ein weicheres Fruchtfleisch hat als eine Wassermelone, dass knackig frische Maiskörner eine ganz andere Beschaffenheit haben als mehlig kochende Kartoffeln. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen außerdem: Babys, die von Anfang an selbst essen dürfen, ernähren sich gesund und ausgewogen und sind auch als Kindergartenkinder viel offener für eine große Bandbreite frischer, gesunder Lebensmittel als Babys, die klassisch mit Brei gefüttert wurden.

„Baby Led Weaning“ bedeutet, wörtlich übersetzt: Das Baby bestimmt, wie es von der Brust oder Flasche entwöhnt wird. Kann so ein kleines Kind tatsächlich die Verantwortung für seine eigene Ernährung übernehmen?
Ja, wenn die Ausgangsbedingungen stimmen. Heute wissen wir, dass schon Neugeborene sehr genau spüren, was sie brauchen. Deshalb rät man jungen Müttern heute, nicht nach der Uhr, sondern nach Bedarf zu stillen. Denn niemand weiß besser, wie viel Milch ein Baby braucht, als das Baby selbst. Es dementsprechend auch das Tempo der Umstellung auf feste Kost selbst bestimmen zu lassen, ist der logische nächste Schritt und hat für mich viel mit Respekt zu tun: Ich nehme die Bedürfnisse meines Kindes ernst, also schiebe ich ihm nicht einfach etwas in den Mund, sondern lasse es selbst auswählen, ob und wenn ja was es essen will.

Geht der Beikoststart dann nicht viel langsamer?
Da ist was dran: Viele Eltern berichten, dass ihre Babys in den ersten Wochen lieber mit dem Essen spielen, als es wirklich zu verspeisen. Doch das ist kein Grund zur Sorge. Denn auch im zweiten Lebenshalbjahr versorgt die gewohnte Milch das Baby mit allem, was es zum Wachsen braucht. Warten Eltern jetzt geduldig ab, passiert etwas Wunderbares: Das Baby beginnt aus eigenem Antrieb heraus zu essen und läutet so Schritt für Schritt in seinem eigenen Tempo das Abstillen ein. Die meisten Babys nehmen dann bereits mit etwa acht Monaten erstaunliche Mengen zu sich – oft mehr als ihre gefütterten Altersgenossen. Die lassen nämlich oft zwar die ersten Breiversuche ganz willig über sich ergehen, akzeptieren dann aber plötzlich mit acht oder neun Monaten gar keinen Brei mehr akzeptieren oder nur noch eine ganz bestimmte Sorte. Auch in solchen Fällen kann die Umstellung auf Fingerfood helfen.

Vielen Eltern erscheint Ihr Ansatz sehr extrem. Ist es denn wirklich schlimm, wenn ein Baby ab und zu mal Brei gefüttert bekommt?
Nicht schlimm, einfach nur unnötig. Meine Botschaft ist: Babys brauchen nicht gefüttert zu werden. Sie können selbst essen, und das von Anfang an. Mir ist wichtig, dass Eltern das wissen. Daraus kann dann jede Familie machen, was für sie passt: Manche lassen ihr Baby dann tatsächlich ausschließlich alleine essen, andere entscheiden sich für eine Mischform aus Füttern und Fingerfood. So lange es dem Baby dabei gut geht, kann ich daran nichts Schlimmes finden.

Dieses Interview erschien erstmals 2012 in der Zeitschrift ELTERN.