Wie fühlt sich das an, von den eigenen Eltern unterrichtet zu werden, statt zur Schule zu gehen? Darüber sprach ich mit Catherine Heyres. Die US-Amerikanerin bekam von ihren Eltern ganz legal Heimunterricht. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Neapel und arbeitet als freischaffende Fotografin.

Als ich meinen Kindern erzählte, dass ich heute mit einer Frau spreche, die nie zur Schule ging, kriegten Sie ganz große Augen und fragten: Kann sie dann überhaupt lesen und schreiben?
(lacht) Ja, das kann ich! Ich bin zwar nicht zur Schule gegangen, aber danach zur Universität, wo ich meinen Abschluss mit Auszeichnung gemacht habe. Das wäre ohne Lesen und Schreiben wohl eher schwierig gewesen!

Wie kamen Ihre Eltern auf die Idee, Sie zu Hause zu unterrichten?
Die Entscheidung zum Homeschooling trafen meine Eltern eigentlich für meinen Bruder, weil der in der Grundschule schlimm gemobbt wurde. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade in die Vorschule gekommen und lernte dort gerne und viel. Aber meine Mutter dachte wohl, wenn sie schon Hausunterricht macht, kann sie mich gleich mit unterrichten. Meine große Schwester wollte allerdings unbedingt weiter zur Schule gehen, vor allem wegen ihren Freundinnen dort. Das durfte sie natürlich.

Welche Erinnerungen haben Sie an den Unterricht zu Hause?
Meine schönste Erinnerung ist die an meine Mutter, die meinem Bruder und mir mit endloser Geduld Geschichten vorliest. Außerdem brachte sie uns viele Dinge des täglichen Lebens bei, die in der Schule oft zu kurz kommen: Kochen, Nähen und Gärtnern zum Beispiel. Dazu kommt, dass wir unendlich viel Zeit hatten, auf eigene Faust auf Entdeckungstour zu gehen und die Natur um uns herum zu erkunden.

Dafür hatten Sie viel weniger Zeit mit Gleichaltrigen.
Das stimmt. Wobei ich trotzdem viele Gelegenheiten hatte, gleichaltrige Freunde zu treffen: Beim Ballettunterricht, in meinen Klavierstunden, bei den Pfadfindern und in der Jugendgruppe unserer Kirchengemeinde.

Gab es etwas, worum Sie Ihre zur Schule gehenden Freunde beneidet haben?
Ja, um ihren Matheunterricht. (lacht) Das Problem beim Hausunterricht ist einfach, dass Eltern keine Lehrer sind: Sie können einem immer nur die Fächer gut erklären, die ihnen selbst liegen. Mein Bruder und ich hatten Glück, denn unsere Mutter ist eine außerordentlich kluge, sehr gebildete Frau. Wir lernten bei ihr nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch unheimlich viel über Literatur und Geschichte, ihre großen Leidenschaften. Die Naturwissenschaften und Mathe lagen ihr aber weniger, deshalb arbeiteten wir in diesen Fächern vor allem mit Selbstlernmaterialien. Da habe ich mir manchmal einen Mathelehrer gewünscht, der mir die Prinzipien erklärt, die hinter den Matheaufgaben stehen.

Genau aus diesem Grund müssen in Deutschland alle Kinder zur Schule gehen. Finden Sie das richtig?
Ich verstehe den Gedanken dahinter: Bildung ist der Schlüssel zur Welt, und der deutsche Staat will sicherstellen, dass jedes Kind sie auch bekommt. Dazu kommt, dass es natürlich auch fundamentalistisch religiöse Eltern gibt, die ihre Kinder aus diesem Grund vom staatlichen Schulsystem fernhalten wollen. Trotzdem denke ich, dass es Kinder gibt, für die das Lernen in der Schule einfach nicht das Richtige ist. Für die Eltern dieser Kinder sollte es möglich sein, eine Alternative zur Schule zu finden – die man ja wiederum staatlich überprüfen könnte. Ein Kompromiss könnten dabei Homeschooling-Gemeinschaften sein, wie sie in den USA sehr verbreitet sind: Mehrere zu Hause unterrichtende Familien schließen sich zusammen und gründen eine Art freie Schule ohne feste Anwesenheitszeiten, die die ganze Welt als Klassenzimmer begreift. Sowas finde ich fantastisch!

Das Interview erschien ursprünglich 2014 in der Zeitschrift ELTERN family.