Jedes Jahre zur Weihnachtszeit besinnen sich Familien, aber auch Kindergärten und Schulen der ganzen Adventstraditionen. Da werden Adventskalender gebastelt, Nikolausstiefel gefüllt, Kerzen angezündet, Lieder gesungen. Ob gläubig oder nicht, die Weihnachtszeit lässt hierzulande kaum jemanden unberührt. Kein Wunder: Weihnachten ist das Fest der Liebe.

Doch in der langen, dunklen Geschichte der Kindererziehung war Weihnachten oft auch das Fest der Hiebe: “Böse Kinder” bekamen die Rute, “brave Kinder” Süßes und Geschenke. Eine typische Folge der schwarzen Pädagogik, die in der Kindheit unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern von den allermeisten Familien unhinterfragt gelebt wurde. Ihr oberstes Ziel: Kinder müssen gehorchen. Mit diesem Weltbild im Kopf liegt es nahe, auch das christliche Weihnachtsfest für erzieherische Zwecke zu gebrauchen: Mit Geschenke-Entzug zu drohen, ist schon mal ein sehr effektives Druckmittel. Zu behaupten, es gäbe Listen guter und böser Kinder, ist eine besonders perfide Weiterentwicklung dieser emotionalen Erpressung. Und dann das Bestrafen angeblich ungehorsamer Kinder an eine Phantasiefigur zu delegieren – den Knecht Ruprecht, den Krampus, oder wer auch immer die Rute bringt – stellte eine attraktive Lösung dar, die unbeliebte Rolle sozusagen outzusourcen, so dass das Kind nicht einmal wütend oder traurig sein kann auf die ungerechten Eltern – es wurde ja quasi von einer höheren Instanz bestraft.

Nun könnte man meinen, in der heutigen Zeit seien solche gemeinen Methoden, die Weihnachtszeit mit all ihrem Zauber zu Erziehungszwecken zu missbrauchen, längst ausgestorben. Doch weit gefehlt.

– Erst vor wenigen Tagen erzählte mir ein junger Vater, seine Frau hätte den beiden zwei und vier Jahre alten Söhnen damit gedroht, der Nikolaus würde ihre Adventskalender mitnehmen, wenn sie weiterhin so schlimm wären und abends nach dem Gute-Nacht-Sagen wieder aus dem Bett kämen. Weil die Kinder abends trotzdem weinend im Flur standen, waren am 6. Dezember die Kalender weg – “Und das Beste ist: Wir sind nicht Schuld, es war ja der Nikolaus. Das wird ihnen eine Lektion erteilen!”

– Für die Weihnachtsfeier einer Kinderfeuerwehr wurden Eltern beauftragt, gute und schlechte Eigenschaften ihrer Kinder aufzuschreiben, die der eigens angeheuerte Nikolaus dann vor allen vortragen sollte. Es war sogar eine Liste mit Vorschlägen dabei, welches schlechtes Verhalten angeprangert werden könnte: “Nicht aufessen, Gemüse verweigern, nicht aufräumen, frech sein, nicht hören.”

– Der Adventskalender eines Kindergartens besteht aus Briefen, die angebliche Weihnachtswichtel für jedes Kind geschrieben haben. In diesen Briefen wird zunächst eine Eigenschaft des Kindes gelobt, danach folgen Kritik und Ermahnungen, wie zum Beispiel: “Du bist beim Abholen oft frech zu deiner Mama, das gefällt uns gar nicht.” Die Briefe enden mit der vagen Aussage, man wisse noch nicht, ob der Weihnachtsmann dem Kind Geschenke bringe, das hänge von seinem Verhalten in den nächsten Tagen ab – “Wir werden dich weiter beobachten.”

– Ein amerikanisches Elternpaar teilt auf Facebook seinen weihnachtliches Erziehungstipp: Jede Menge leere Kartons als Weihnachtsgeschenke verpacken und unter den Baum legen. Dann bei jedem Vergehen des Kindes ein solches “Weihnachtsgeschenk” nehmen und zur Strafe ins Kaminfeuer werfen mit den Worten “Das war deine Barbie”, “Das war’s dann wohl mit dem Matchboxauto.”

Diese Beispiele – die alle aus dem Jahr 2017 stammen – zeigen: Weihnachten erleben viele Kinder nicht als Fest der Liebe, sondern als Fest des Drohens, Strafens, Verletzens und Demütigens. Und das muss aufhören! Denn es gibt keine harmlosen Bloßstellungen, und selbst augenzwinkernd mit der Rute zu drohen oder von artigen und unartigen Kindern zu sprechen gräbt sich tief in die Seele eines Kindes ein und kann dort schlimmen Schaden anrichten.

Es gibt keine harmlosen Drohungen, und ein Augenzwinkern macht Erpressung nicht besser.

Denn um gesund und glücklich groß zu werden, brauchen Kinder das Gefühl, bedingungslos geliebt zu sein und sich nicht fürchten zu müssen vor gnadenlosen Beobachter-Wichteln und strafenden Phantasiewesen. Angst und Druck mag Kinder kurzfristig gehorsam machen – vor allem aber macht es sie schwach und klein.

Wenn Eltern oder ErzieherInnen also eine Verhaltensweise eines Kindes stört, sollten sie Weihnachtsmann, Nikolaus und Co da raus lassen und sich stattdessen fragen, wie sie das Problem konstruktiv angehen können. Dafür ist es unerlässlich, zunächst einmal die eigenen Erwartungshaltungen kritisch unter die Lupe zu nehmen – oft überfordern wir Kinder maßlos mit unseren Vorstellungen davon, wie brav und unkompliziert sie sich benehmen sollten.

In einem zweiten Schritt können wir natürlich auch mit unseren Kindern über für uns schwierige Verhaltensweisen sprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen – das gilt fürs “Frechsein” beim Abholen ebenso wie fürs abendliche Aus-dem-Bett-kommen. (Hier lautet der einfachste Lösungsweg überhaupt, altersgerechte Einschlafbegleitung anzubieten!)

Und wenn wir mal wirklich sauer sind und nicht mehr sanft und verständnisvoll sein können, dann sollten wir zumindest dazu stehen, dass das hier gerade unsere Wut, unser Frust, unsere enttäuschte Erwartung ist – und nicht die eines ominösen Weihnachtswesen, an das wir dieses unsympathische Verhalten abtreten, um selbst als die Guten dazustehen.

Denn es sind immer und ausschließlich wir Erwachsenen, die für die Qualität der Beziehung zu Kindern verantwortlich sind. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.